Über den IQ hinaus: Die Rolle der Emotionalen Intelligenz in der Führung

In technologieorientierten und schnelllebigen Arbeitsumgebungen ist emotionale Intelligenz genauso wichtig wie fachliche Expertise. Erfahren Sie, wie EI Führungskräften hilft, effektiver zu kommunizieren, zu motivieren und Innovationen voranzutreiben.

Führungskonzepte und -philosophien haben sich in den letzten 20 Jahren erheblich gewandelt. Wo früher streng hierarchische und zentralistische Strukturen mit autokratischer Führung die Unternehmenskultur prägten, setzen heutige Unternehmen auf Flexibilität, selbstorganisierte Teams und Mitbestimmung (New Work). Führungskräfte sind nicht mehr nur Organisatoren und Befehlsgeber; sie sind Mentoren, Inspiratoren und Kulturträger, die eine Vision vermitteln und ihre Teams motivieren sollen. Dieser Wandel spiegelt sich auch in den sich ändernden Prioritäten der Belegschaft wider. War die Arbeitswelt früher von der Notwendigkeit der Existenzsicherung und dem Streben nach Karriere und Status dominiert, so rücken heute Work-Life-Balance, flexible Modelle für Arbeitszeit und -ort, sowie ein sinnstiftender Zweck in den Vordergrund. In Zeiten des Fachkräftemangels können Mitarbeiter ihr Arbeitsumfeld nahezu frei wählen – Firmen bewerben sich heute bei Fachkräften und nicht andersrum.

In dieser Arbeitswelt hat sich emotionale Intelligenz (EI) bei Führungskräften neben allem erforderlichen Fachwissens zu einer entscheidenden Kompetenz entwickelt. Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, eigene Gefühle und die der anderen zu erkennen, zu verstehen und zu managen. Diese Fähigkeit hat großen Einfluss auf die Art und Weise, wie Führungskräfte mit ihren Teams und Peers interagieren, sie intrinsisch motivieren, Identifikation mit Unternehmenszielen erzeugen und somit direkte Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre und Produktivität.

Die 5 Säulen der emotionalen Intelligenz

Beim Konzept der emotionalen Intelligenz geht es darum, die eigenen Emotionen und die Emotionen anderer zu erkennen, zu verstehen und vorteilhaft zu managen. Diese Fähigkeit ist für Führungskräfte deshalb von großem Wert, da sie die Grundlage für starke zwischenmenschliche Beziehungen und effektives Führungshandeln bildet. Daniel Goleman, ein Pionier auf dem Gebiet der EI, identifiziert fünf Kernkomponenten, die zusammen das Gerüst der Emotionalen Intelligenz bilden[Zitat]:

Selbstwahrnehmung: Dies ist die Grundlage der Emotionalen Intelligenz. Selbstwahrnehmung bedeutet, die eigenen Emotionen zu erkennen und zu verstehen, wie sie das eigene Denken und Handeln, die Entscheidungsfindung und das allgemeine Wohlbefinden beeinflussen. Eine Menschen mit hoher Selbstwahrnehmung können ihre Stärken und Schwächen klar erkennen und sind z.B. in der Lage, konstruktiver mit Kritik umzugehen.

Selbstregulierung: Eng verknüpft mit der Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit zur Selbstregulierung. Es geht darum, emotionale Impulse und Stimmungen zu regulieren und zu steuern, statt diese unmittelbar auszuagieren. Menschen, die ihre Emotionen effektiv regulieren können, vermeiden voreilige Entscheidungen, bleiben in stressigen Situationen leichter gelassen und bewahren auch in schwierigen Zeiten einen kühlen Kopf für rationale Entscheidungen

Motivation: Goleman betont die Rolle der intrinsischen Motivation – also einer Motivation, die von innen kommt, nicht durch äußere Belohnungen wie Geld oder Status. Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz sind durch innere Werte und Ziele angetrieben, was ihnen hilft, sich auf langfristige Erfolge zu konzentrieren statt auf kurzfristige Gewinne.

Empathie: Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist eine weitere wichtige Komponente der EI. Führungskräfte können emotionale Strömungen in Gruppen erkennen und angemessen darauf reagieren. Sie verstehen die Bedürfnisse ihrer Teammitglieder und können mit kulturellen und sozialen Unterschieden sensibel umgehen.

Soziale Fertigkeiten: Die letzte Komponente bezieht sich auf die Fähigkeit, Beziehungen zu pflegen und Netzwerke aufzubauen. Menschen mit starken sozialen Fertigkeiten sind effektiv im Kommunizieren, Konflikte moderieren und fördern die Zusammenarbeit im Team. Sie sind oft auch Meister im Aufbau und Erhalt von Beziehungen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens.

Diese fünf Komponenten der Emotionalen Intelligenz sind nicht nur sehr förderlich für persönlichen Erfolg, sondern auch essenziell für die Entwicklung und Führung von Organisationen.

Rolle der EQ in Hightech Unternehmen

In dem hochkomplexen Räderwerk von Hochtechnologie-Unternehmen wird EI zum Schmiermittel der vielen komplexen Prozesse und Abläufe. Die 5 Kernkompetenzen wirken sich unmittelbar aus auf z.B.:

Kommunikation und Interaktion

Die Kommunikation einer emotional intelligenten Führungskraft ist geprägt von Klarheit und Einfühlungsvermögen. Solche Führungspersonen sind in der Lage, ihre Botschaften auf eine Weise zu vermitteln, die das Team nicht nur versteht, sondern auch inspiriert. Sie hören aktiv zu, erkennen nicht ausgesprochene Bedenken und reagieren darauf auf eine Weise, die Vertrauen und Offenheit fördert. Durch ihre Fähigkeit, Emotionen zu lesen und entsprechend zu handeln, können sie Missverständnisse vermeiden und eine positive Arbeitsatmosphäre schaffen.

Emotional intelligente Führungskräfte schaffen es, ihre Mitarbeiter auf einer persönlichen Ebene anzusprechen. Sie erkennen individuelle emotionale Bedürfnisse und können z.B. gezielte und persönliche Anerkennung aussprechen.

Motivation und Mitarbeiterengagement

Emotional intelligente Führungskräfte schaffen eine Atmosphäre, in der Mitarbeiter sich gesehen, respektiert und wertgeschätzt fühlen und ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Dies fördert intrinsischen Motivation, die nicht auf äußere Anreize, sondern auf innerer Zufriedenheit und Engagement beruht.

Mitarbeiter, die sich von ihren Vorgesetzten verstanden und respektiert fühlen, neigen dazu, sich stärker einzubringen und zeigen eine höhere Resilienz gegenüber Frustration. In einem technologisch schnelllebigen Umfeld, in dem Veränderung die einzige Konstante ist, können Führungskräfte mit hoher EI die Anpassungsfähigkeit ihrer Teams stärken.

Förderung der Kooperationsbereitschaft

In den vernetzten Strukturen moderner Arbeitsprozesse stößt zentrale Koordination an ihre Grenzen. Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit erweist sich als Schlüssel zur Entfaltung eines effizienten Arbeitsumfelds. Teams, die von EI-starken Führungskräften angeleitet werden, zeichnen sich durch eine hohe Selbstorganisation und Eigeninitiative aus. Die Führungskraft agiert hier weniger als zentraler Koordinator, sondern vielmehr als Katalysator, der die Selbststeuerung des Teams fördert. Dadurch werden Problemlösungen und Innovationen möglich, die aus der kollektiven Intelligenz des Teams hervorgehen.

Eine hohe emotionale Intelligenz bei Führungskräften verstärkt die Bereitschaft zur Kooperation innerhalb des Teams, indem

  •  ein tiefes Verständnis für die individuellen Antriebskräfte der Teammitglieder entsteht und diese optimal genutzt werden können
  • Mitarbeiter sich gesehen und respektiert fühlen und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zum Wohle des Teams einbringen statt für persönliche Profilierung
  • es besser geling, die individuellen Beiträge jedes Einzelnen zum Gesamterfolg zu vermitteln und dadurch Identifikation und Zugehörigkeit zu fördern
  • durch das Verständnis und die Wertschätzung der vielfältigen Perspektiven und Fachkenntnisse ein synergetisches Arbeitsklima begünstigt wird

Führungskräfteentwicklung in Hightech Konzernen

Die Transformation von Ingenieuren und Technikern auf ihrem Weg zu Managern und Führungskräften ist eine Reise, die weit über die Erweiterung des Fachwissens hinausgeht. Sie erfordert eine fundamentale Verschiebung im Selbstverständnis und in den Fähigkeiten, die für den Erfolg in einer Führungsrolle entscheidend sind.

Von kognitiver zu emotionaler Intelligenz

Ingenieure und Techniker, die zu Führungskräften werden, stehen vor der Herausforderung, die Bedeutung der kognitiven Intelligenz – also der Eigenschaft, die sie als Fachexperten ausgezeichnet hatte – neu zu bewerten. Kognitive Intelligenz ist zweifellos wichtig, aber auf dem Management-Karrierepfad wird die emotionale Intelligenz zunehmend entscheidend. Während technisches Know-how und analytisches Denken die Grundlage ihrer bisherigen Karriere bildeten, sind es nun die oben geschilderten Führungsqualitäten, die in den Vordergrund treten. Für technisch versierte Fachkräfte kann diese neue Schwerpunktsetzung zunächst ungewohnt sein. Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: Weg von der reinen Problemlösung hin zur Menschenführung. Für technische Fachkräfte bedeutet dies, dass sie lernen müssen, nicht nur Projekte, sondern auch die eigenen emotionalen Bedürfnisse und die ihrer Teams zu managen. In ihrer neuen Rolle müssen sie lernen, auf die Ideen und Beiträge ihrer Mitarbeiter zu hören und diese zu integrieren, ein Umfeld zu schaffen, in dem Innovation gedeihen kann und die kreativen und oft divergenten Energien eines diversen Teams zu kanalisieren.

Entwicklung emotionaler Intelligenz

Die gute Nachricht ist, dass emotionale Intelligenz aktiv und gezielt entwickelt kann. Im Vergleich zum Erlangen von Fachkompetenz, ist der Weg allerdings ein gänzlich anderer.

Bewusstsein über Stärken und Schwächen

Der erste Schritt zur Entwicklung emotionaler Intelligenz ist sich über eigene Stärken und Schwächen bewusst zu werden. Dies erfordert eine selbstkritische Reflexion und die Bereitschaft, sich mit persönlichen emotionalen Mustern auseinanderzusetzen. Tools wie Feedback von Kollegen, Selbstreflexions-Tagebücher oder auch professionell geführte Assessments können dabei helfen, ein klares Bild der eigenen emotionalen Kompetenzen zu gewinnen. Im Prinzip geht es dabei um die Fähigkeit sich in emotional fordernden Situationen selbst beobachten zu können und dabei genau hinzuschauen und zu ergründen welche Gefühle ausgelöst werden, ohne diese zu bewerten oder zu unterdrücken. So werden diffuse emotionale Reaktionen prägnant und beschreibbar.   

Selbstentwicklung durch Reflexion und Übung

Ein wesentlicher Aspekt für die Entwicklung emotionaler Intelligenz ist die Fähigkeit, auf einen emotionalen Impuls, ausgelöst durch bestimmte Situationen oder Trigger, nicht sofort zu reagieren. Stattdessen gilt es, bewusst einen Raum zwischen Impuls und Reaktion zu schaffen. Dieser Moment des Innehaltens ermöglicht es uns, unsere spontanen Emotionen genauer zu erforschen und zu verstehen. Indem wir diesen inneren Schritt vollziehen, bieten wir uns selbst die Gelegenheit, unsere erste emotionale Antwort zu hinterfragen und zu reflektieren. Dies kann zum Beispiel durch tiefe Atemzüge, eine kurze Reflexionspause oder durch das Stellen kritischer Fragen an sich selbst geschehen: „Warum reagiere ich so? Gibt es alternative Sichtweisen?“. Durch diese Technik schwächen wir den ursprünglichen Handlungsimpuls ab und öffnen den Raum für vielfältigere, durchdachtere und konstruktivere Reaktionen. Langfristig gesehen fördert diese Praxis nicht nur die Selbstregulation und das emotionale Verständnis, sondern trägt auch zu einer reiferen, empathischeren und effektiveren Art der Kommunikation und Interaktion bei.

Entwicklung im Teamkontext

Die Entwicklung emotionaler Intelligenz im Teamkontext erfordert einen ähnlichen Ansatz, ist jedoch um die Dimension der zwischenmenschlichen Dynamik erweitert. Teams sollten ermutigt werden, eine offene Kommunikationskultur zu pflegen, in der Empathie und emotionales Verständnis gefördert werden. Workshops, Team-Building-Aktivitäten und regelmäßige Feedback-Sitzungen können dazu beitragen, das Bewusstsein für die emotionalen Bedürfnisse und Reaktionen der Teammitglieder zu schärfen.

Kontinuierliche Praxis in konkreten Situationen

Der entscheidende Aspekt bei der Entwicklung der emotionalen Intelligenz ist die kontinuierliche Praxis. Es geht darum, an und in realen Lebens- und Arbeitssituationen zu üben und zu lernen. Das kann bedeuten, in stressigen Situationen bewusst innezuhalten und auf die eigenen Emotionen zu achten oder in Konfliktsituationen aktiv empathisches Zuhören zu praktizieren. Die Entwicklung emotionaler Intelligenz ist also ein kontinuierlicher Prozess der Selbstbeobachtung, der Selbsterkenntnis, des Lernens aus Erfahrungen und die Reflektion und Anpassung des Verhaltens in unterschiedlichen Situationen.

Emotionale Intelligenz ist also keine statische Fähigkeit, sondern ein dynamischer und lebenslanger Lernprozess. Führungskräfte, die sich dieser Herausforderung stellen, können eine positive und inspirierende Atmosphäre für ihre Teams schaffen, die auf Verständnis, Respekt und echter menschlicher Verbindung gründet.