Vor 20 Jahren hat man mir im Konzern erstmals Führungsverantwortung übertragen. Wie ging es mir damit? War ich stolz den nächsten Karriereschritt genommen zu haben? Ganz sicher, aber nicht nur. Vielmehr erinnere ich mich daran, welche Unsicherheiten ich empfunden habe, als ich das erste Mal vor meinem Team stand. Was wurde von mir erwartet? Was musste ich tun, um gut zu führen? Mein über Jahre angesammeltes Fachwissen über Differentialgleichungen und Speicherarchitekturen war plötzlich nicht mehr hilfreich.
Natürlich gehörten Führungskräftetrainings zum Personalentwicklungsprogramm meines Arbeitgebers. Doch diese haben mir nur begrenzt geholfen, die nötige Souveränität zu entwickeln, die ich mir für die vielfältigen Personalführungsaufgaben gewünscht habe. Ich habe es geschafft, mit meinem Team gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Doch wenn es um menschliche Aspekte, um Zugehörigkeit und Teamspirit ging, war ich etwas ratlos.
Über die Jahre erkannte ich, dass meine fachlichen Kompetenzen und Leistungen meine Karriere zu Anfang befeuert hatten, mit zunehmenden Aufstieg im Konzern jedoch immer mehr an Bedeutung verloren. Gefragt waren hingegen persönliche und soziale Kompetenzen. Und ich habe erkannt: diese kann ich nicht erlernen, diese kann ich nur entwickeln.
Was ich selbst erlebte, konnte ich auch bei Kollegen in der Führung beobachten. Die in den Trainings erlernten Methoden und Tools waren nur begrenzt hilfreich. Entscheidend waren die Persönlichkeitsmerkmale, die die Führungskräfte in der Zusammenarbeit zeigten. Im günstigsten Fall wirkten sie sich überaus positiv aus, im ungünstigsten konnten sie ein komplettes Team lahmlegen.
Was zeichnet eine gute Führungskraft aus?
Die Aufgabe eines Chefs ist es – vereinfacht gesagt, das Team dazu zu bringen, mit maximaler Motivation und Effizienz die richtigen Arbeitsergebnisse zu liefern. Dazu ist es unter anderem nötig,
- im Team eine Atmosphäre schaffen, in der jeder Mitarbeiter motiviert ist sein volles Potential auszuschöpfen.
- für Klarheit sorgen, wenn nötig „nein“ sagen können, konstruktives aber auch kritisches Feedback geben können
- Vertrauen für Offenheit und Transparenz schaffen. Konstruktiv mit problematischen Situationen und Fehlern umgehen können
- Die Einzigartigkeit der Mitarbeiter erkunden, schätzen und Stärken gezielt einsetzen
- Für Zugehörigkeit und Identifikation sorgen, dabei aber auch Kooperation mit anderen Teams fördern
- Aufmerksam für das Bedürfnis der Mitarbeiter nach Sicherheit und Planbarkeit sein und für hinreichend Information und Transparenz sorgen
Was ist bei weniger guten Führungskräften zu beobachten?
Nicht immer sind im Betrieb Führungskräfte anzutreffen, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur und Haltung in der Lage sind, die genannten Punkte gut umzusetzen. In meiner Berufspraxis sind mir mitunter Verhaltensweisen bei Führungskräften begegnet, die sich auf die Motivation und Leistungsfähigkeit des Teams ausgesprochen negativ auswirkten.
- Der Chef ist fokussiert auf Arbeitsergebnisse und sieht die Mitarbeiter nur als „Mittel zum Zweck“, um diese zu erreichen
- Kompetenzen und Defizite der Mitarbeiter werden als „gegeben“ gesehen. Der Chef gibt keine Impulse für Weiterentwicklung und persönliches Wachstum. Der Chef beschränkt sich auf eine reine „gut-schlecht“ Beurteilungen
- Hinweise auf Probleme werden nicht gehört: „das ist nicht akzeptabel, finde eine Lösung“
- Die Bitte um Unterstützung wird zurückgewiesen „ja, das ist schwierig, schau mal wie weit Du kommst“
- Mit Fehlern wird nicht konstruktiv umgegangen „wie konnte das denn passieren? Wer hat denn da gepennt?“
Schaut man sich den Karriereweg von Führungskräften in Technologiekonzernen an, dann findet man fast immer eine klassische Ingenieurlaufbahn mit Studium im Bereich E-Technik oder Physik, die dann nach einigen Jahren in Richtung Management abbiegt. Ein Werdegang, der sehr stark vom Aufbau von Fachwissen geprägt ist.
Kompetenzmatrix
Kompetenzen lassen sich in unterschiedliche Kategorien unterteilen. Für die Betrachtung von Führungskompetenz eignet sich eine Unterteilung in vier Kategorien
Fachkompetenz bezeichnet erlernbares Wissen und das Verstehen bestimmter Sachverhalte und Zusammenhänge, z.B. erlernen physikalische Gesetzmäßigkeiten im Studium.
Methodenkompetenz bezieht sich auf die praktische Anwendung von Wissen. Der Ausbau dieser Kompetenz passiert u.a. durch praktisches Üben und Trainieren. Beiden Kompetenzen ist gemeinsam, daß sie überwiegend durch kognitive Lernprozesse erlangt werden.
Mit persönlicher Kompetenz ist die Fähigkeit zur Selbstreflektion, des „in sich hineinschauen“ und sich innerer Dynamiken bewusst zu sein gemeint.
Sozialkompetenz beschreibt die Fähigkeit mit anderen auf konstruktive Art zu interagieren, sich in andere hineinzuversetzen und Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten zu können. Je größer die Führungsverantwortung, umso mehr treten soziale und persönliche Kompetenzen in den Vordergrund. Diese sind jedoch von Verhaltensmustern geprägt, die weitgehend unbewusst ablaufen.
Wenn z.B. jemand sehr sensibel auf Konflikte reagiert und unbewusst alles tut, um für ständige Harmonie zu sorgen, dann wird es ihm sehr schwerfallen kritisches Feedback zu geben. Werden Defizite aber nicht offen angesprochen und Kritik vermieden, dann mag sich das für den Mitarbeiter zwar vordergründig gut anfühlen, ihm entgehen aber damit wichtige Impulse für Weiterentwicklung und Wachstum. Wenn der Chef unbewusst Angst hat die Kontrolle zu verlieren, dann wird er sich schwer tun Verantwortung zu delegieren. Solche Vorgesetzte neigen dazu sich über jedes Detail zu informierten und steuernd einzugreifen. Das kostet nicht nur enorm viel Zeit und Energie, es schadet vor allem der Motivation und Autonomie der Mitarbeiter
Wie man sieht, geht es hier also nicht um Wissenslücken, sondern um Verhaltensmuster, die sich ungünstig auf das Team oder die Beziehung zwischen Führungskraft und Team auswirken. Diese Verhaltensweisen sind in den meisten Fällen unbewusst. Sie aufzudecken, bewusst werden zu lassen und die Ursachen zu erforschen ist Ziel und Inhalt von Coaching. Dabei nimmt der Coach keine belehrende, sondern eine unterstützende Rolle ein, die es dem Coachee möglich macht, sich selbst solcher Verhaltensmuster bewusst zu werden, deren Ursachen zu ergründen und sich auf diesem Weg selbst besser kennenzulernen.
Dieses Bewusstsein ermöglicht, den Automatismus zwischen der auslösenden Situation (z.B. Konflikt) und der üblichen Verhaltensweise (z.B. für Harmonie sorgen) zu unterbrechen und, nach und nach, Raum zu schaffen für neue, günstigere Handlungsoptionen.
Dieser Weg ist nicht immer einfach, man kommt mit seinen Ängsten und mitunter schmerzhaften Gefühlen in Berührung. Aber er verspricht nachhaltige Veränderung, ein besseres Verständnis für sich selbst und ist ungemein spannend.